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Veröffentlicht am 31­.05.2014

31.5.2014 - Süddeutsche Zeitung

Oje, Sex

Inzwischen dürfen auf dem Katholikentag Lesben und Schwule mitdiskutieren. Doch immer noch trennt ein tiefer Graben die Vertreter der Amtskirche und Gläubige voneinander

VON MATTHIAS DROBINSKI UND JAKOB WETZEL

Zu Beginn seien sie noch ein verschwörerischer Haufen gewesen, sagt Nils Rusche. Schwule, Lesben, Bisexuelle – darf es so etwas überhaupt geben in der katholischen Jugend? Der 30-Jährige koordiniert das Netzwerk „KJGay“ in der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG). Vor 13 Jahren hätten sie ihre Mitgliedschaft so geheim halten müssen wie ihre Lebensgefährten – vor allem, wenn sie Mitarbeiter der Kirche waren. Sie hätten sonst womöglich ihren Arbeitsplatz verloren. Die Kirche habe ihm aber auch viel Kraft gegeben, sagt Rusche: Durch die „KJGay“ habe er den Mut gefunden, sich als bisexuell zu outen. „Das sind eben die Widersprüche der Kirche: Hier wird man mit Liebe aufgenommen, dort rennt man gegen Wände.“

Die katholische Kirche und der Sex. Das Thema schien erledigt zu sein: Hier die Institution mit ihren Verboten – kein Sex vor der Ehe, keine künstlichen Verhütungsmittel, praktizierte Homosexualität ist Sünde. Dort das Leben der Katholiken, und dazwischen ein tiefer Graben, der Graben des Unverständnisses, der gegenseitigen Vorwürfe und auch des autoritären Machtanspruchs. Kirchengruppen, die diesen Graben überspringen und offen über Sexualität reden wollten, riskierten vor allem erst einmal Ärger. Jetzt aber ist das Thema wieder da. Papst Franziskus hat die Bischöfe für den Oktober in den Vatikan zur Synode geladen, sie sollen über Ehe und Familie reden und damit eben auch über Sex. Er hat den Bischöfen aufgegeben, auch die Haltungen und Meinungen der Katholiken zu erforschen, und zehntausendfach haben sich die Katholiken beteiligt. Tiefe und Breite des Grabens sind seitdem gewissermaßen amtlich beglaubigt. Und das Thema ist von den Krusten befreit.

„Wir wissen ja wo die Unterschiede zwischen den Jugendlichen und der Kirche liegen“, sagt Eva-Maria Düring, die geistliche Bundesleiterin der KJG. Klar: Verhütung, außerehelicher Sex, Homosexualität. „Vielleicht aber gelingt es ja auch, Gemeinsamkeiten zu finden“. Drei von vier Jugendlichen wünschen sich eine Partnerschaft in Verlässlichkeit und Treue, der Anteil derjenigen, die sich Kinder wünschen, steigt. „Junge Menschen in ihrer Individualität haben auch ein hohes Werteverständnis“, sagt Eva Maria Düring. Die Kirche müsse sie unterstützen, ihren eigenen Weg zu finden. Dabei fasse sie das Thema immer noch mit Handschuhen an.

Schade, dass die katholische Kirche da Chancen versemmelt wie ein Mittelstürmer in der Krise, finden die jungen Erwachsenen im Zentrum Jugend – aber sie leiden nicht mehr unter den Verboten, sie halten sich einfach nicht dran. Bei den Älteren ist das anders. In der evangelischen Dreieinigkeitskirche, wo der „Katholikentag plus“ der verschiedenen Kirchenreformgruppen zur Debatte über „Partnerschaft, Sexualmoral und die Kirchen“ geladen hat, trifft sich eine Trauer- und Leidensgemeinschaft. Die 70 Zuhörer sind selten unter 50 und häufig über 70 Jahre alt, viele haben den Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils vor gut 50 Jahren selber miterlebt.

Der Wiener Theologe Alexander Gaderer beschreibt noch einmal diese Wende: Bis zum Ende der 50er Jahre hätten Lust und Sexualität als Sünde gegolten, die nur dadurch zu rechtfertigen sei, dass es anders keine Kinder gebe; erst dann sei die Beziehung der Partner in den Mittelpunkt gerückt, ihre Liebe und Treue, ihr Wunsch nach Kindern. Schritt um Schritt allerdings sei dann die Öffnung rückgängig gemacht werden, durch die Pillen-Enzyklika von Papst Paul VI. 1968 und durch die restriktive Kirchenpolitik von Papst Johannes Paul II.

Es meldet sich eine Frau: Ja, sie könne sich noch erinnern, wie enttäuscht sie gewesen sei, als das Verbot von Pille und Kondom verkündet worden sei. „Da hat sich die Kirche versündigt“, sagt sie, „und wenn ich das höre, kribbelt's immer noch bei mir“. Bei ihren drei Kindern schon nicht mehr, bei den Enkeln erst recht nicht. Aber bei ihr bleibe die Trauer und die Verletzung bis heute.

Es möchte ja keiner hier die Familie auflösen, die Frauen, die sich hier (überwiegend) zu Wort melden, erzählen von Kindern und Enkeln, und als auf dem Podium jemand sagt, die Kirche solle sich überhaupt aus den Schlafzimmern der Menschen heraushalten, da gibt es Widerspruch: Klar hätten sie was zu Liebe, Sexualität, Treue und Verlässlichkeit zu sagen, sie solle halt nur nicht mehr ihre detaillierte Verbotsmoral über die Betten der homo- wie heterosexuellen Paare stülpen. Aber die Trauer einer ganzen Generation offenbart sich, dass ihre Kirche hier keine Antworten auf ihr Leben fand. Eine Frau fordert einen jährlichen Trauer- und Schuldbekenntnistag der katholische Kirche – sie erhält viel Applaus.

Franziskus soll es richten, das hoffen sie bei der Jugend und in der Dreieinigkeitskirche bei den Älteren. Dass er von Barmherzigkeit rede, das habe schon viel verändert.
„Da ist Bewegung drin“, sagt Nils Rusche, der schwule KJGler, die Kirche müsse „wegkommen von der Idee, dass nur eine Beziehungsform die einzig Wahre ist“ und dass Lesben und Schwule nicht Mitleid bräuchten, sondern die Anerkennung, dass ihre Beziehungen genauso gelingen können wie heterosexuelle.

Nur: Bis dahin wird es noch einigen Streit geben, auch das wird auf dem Katholikentag klar. Dort gibt es den Erfahrungsaustausch für homosexuelle Menschen in der Kirche – vor zehn Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Aber es gibt auch die anderen, die fürchten, dass die Kirche damit ihre Werte preisgibt. Es herrsche da mittlerweile eine „Kultur der Beliebigkeit“, klagte am Donnerstag der Wiener Moraltheologe und Medizinethiker Matthias Beck – und das beste Beispiel dafür sei Conchita Wurst, die Gewinnerin des Eurovision Song Contest. Die hätte gesagt, dass Aussehen und Geschlecht völlig egal seien – dies aber sei „die größte Katastrophe unserer Zeit“. Man sollte ihn mal mit Nils Rusche zum Diskutieren zusammenbringen.

Zuletzt geändert am 02­.06.2014