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Veröffentlicht am 02­.02.2012

1 Jahr Theologen-Memorandum

Wir sind Kirche: „Von einem wirklichen Dialog sind wir weit entfernt“

Pressemitteilung München, 2. Februar 2012

Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Memorandums „Kirche 2011“ der 311 TheologieprofessorInnen

„Das vor einem Jahr veröffentlichte Memorandum der Theologieprofessorinnen und professoren war ein notwendiger, hilfreicher und ermutigender Anstoß zur überfälligen Kirchenreform, doch von einem wirklichen Dialog innerhalb der Kirche sind wir weiter denn je entfernt“, erklärt die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche zum Jahrestag der Erstveröffentlichung. „Solange nicht alle Bischöfe zu einem offenen Dialog ohne Denkverbote über die Zukunft der Kirche bereit sind und ihn auch in Rom mit all seinen Konsequenzen verteidigen, wird die Glaubwürdigkeit der römisch-katholischen Kirche weiter rapide absinken und werden weiter Hunderttausende aus der Kirchengemeinschaft austreten.“

Auf dem Höhepunkt der Kirchen- und Missbrauchskrise im September 2010 hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Erzbischof Dr. Robert Zollitsch einen Dialogprozess angekündigt. Die deutschen Bischöfe konnten sich aber noch nicht einmal auf das zeitnah versprochene gemeinsame Hirtenwort einigen. Das am 4. Februar 2011 veröffentlichte Memorandum der TheologInnen hat – gerade weil es von vielen Bischöfen abgelehnt wurde – die bekannten und theologisch unbestreitbaren Reformforderungen neu gebündelt und ins Bewusstsein gerufen. Erst am 17. März 2011 erschien ein verspätetes Wort der deutschen Bischöfe an die Gemeinden. Am 8./9. Juli 2011 fand in Mannheim die von den Bischöfen einberufene bundesweite Auftaktveranstaltung statt, bei der dann die von manchen Bischöfen unerwünschten „Reizthemen“ zumindest angesprochen werden konnten.

Viele der 27 deutschen Diözesen haben die von der Mannheimer Auftaktveranstaltung angestoßenen Prozesse nur sehr zögerlich aufgenommen. Nur sehr wenige Internet-Seiten der Bistümer informieren überhaupt darüber, wie eine Internet-Recherche von Wir sind Kirche ergab. Beim Papstbesuch, den die Bischöfe als Teil des „Dialogprozesses“ angekündigt hatten, war von Gespräch oder gar Dialog keine Rede mehr. Der Papst ging mit keinem Wort darauf ein.

Die nächste Nagelprobe wird der Katholikentag im Mai 2012 in Mannheim bringen. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der gastgebende Freiburger Bischof Zollitsch haben ihn unter das anspruchsvolle Leitwort „Einen neuen Aufbruch wagen“ gestellt. Doch gerade die hochengagierten Kirchenmitglieder werden sich nicht länger mit Vorträgen und Gesprächen über den Reformstau und schöne Visionen vertrösten lassen, wenn gleichzeitig die Zusammenlegungen und Schließungen von Pfarreien (aktuell besonders in den Bistümern München/Freising, Augsburg und Essen) massiv vorangetrieben werden, da der durch den Pflichtzölibat bedingte Priestermangel immer eklatanter wird.

Der Dialog über die drängenden pastoraler Fragen muss endlich konkrete Früchte bringen, wie z.B. die Öffnung des Diakonats für Frauen, die Zulassung nach Scheidung Wiederverheirateter wie auch konfessionsverschiedener Eheleute zur Eucharistie – alles Punkte, die längst zum Mindestbestand innerkirchliche Reformforderungen geworden und auch in dem Theologen-Memorandum enthalten sind.

Das Jahr 2011 war nicht nur das Jahr des arabischen Frühlings, sondern auch innerhalb der römisch-katholischen Kirche ein Jahr vieler Aufbrüche. Immer weniger Menschen und Gemeinden warten auf bischöfliche Zustimmung und Erlaubnisse. Wenn Bischöfe diese Aufbrüche als Skandal und Gefahr für die Einheit der Weltkirche werten, so sollten sie auf Kurienkardinal Walter Kasper hören, der schon vor Langem warnte: Wenn die Bischöfe durch ihre Loyalität gegenüber Rom daran gehindert werden, eigenverantwortlich sach- und situationsgerechte Lösungen für ihre Diözesen herbeizuführen, so wie es ihre Hirtenverantwortung eigentlich ist, dann werden sich viele Seelsorger vor Ort nicht mehr um die nicht mehr praktikablen Normen kümmern.

Vieles ist in Bewegung gekommen. Die KirchenVolksBewegung ruft dazu auf, im Vertrauen auf den Geist Christi beharrlich am Ball zu bleiben, Schein-Dialoge als Hinhaltetaktik zu entlarven und nicht zuzulassen, dass das Rad zurückgedreht wird. Die Problemlösungspotentiale des Zweiten Vatikanischen Konzils, dessen 50 jähriges Jubiläum in diesem Jahr beginnt, sind noch lange nicht ausgeschöpft, sofern wir es nur neu in unsere Zeit hinein übersetzen.

Pressekontakt:
Sigrid Grabmeier, Tel. 0991- 297 95 85 oder mobil 0170-862 62 90
Magnus Lux, Tel. 09721-5 88 75 oder mobil 0176-41 26 63 92
Christian Weisner, Tel. 08131-26 02 50 oder mobil 0172-518 40 82
E-Mail: presse@wir-sind-kirche.de
Homepage: www.wir-sind-kirche.de


Wortlaut des Memorandums, UnterzeichnerInnen und mehr: www.memorandum-freiheit.de

Aktuelle Aufbrüche in der Kirche im In- und Ausland: www.wir-sind-kirche.de/?id=604


Hintergründe:

Memorandum „Kirche 2011. Ein notwendiger Aufbruch.“
Das Memorandum beruft sich auf die Freiheitsbotschaft des Evangeliums, fordert den offenen Dialog ein und wendet sich gegen die Abkehr vom Zweiten Vatikanischen Konzil. Mit sechs Handlungsfeldern (Strukturen der Beteiligung, Gemeinde, Rechtskultur, Gewissensfreiheit, Versöhnung und Gottesdienst) fordert das Memorandum einen offenen Dialog über die Macht- und Kommunikationsstrukturen, über die Gestalt des kirchlichen Amtes, die Beteiligung der Gläubigen an der Verantwortung sowie über die kirchliche Sexuallehre.
Anfänglich von 144 unterzeichnet, haben schließlich über 300 Theologieprofessorinnen und -professoren aus dem In- und Ausland das Memorandum unterzeichnet. Fast 70.000 Katholikinnen und Katholiken, unter ihnen auch viele Priester und Religionslehrende haben sich auf verschiedenen Listen mit dem Memorandum solidarisiert, die allermeisten bei der Aktion www.kirchenaufbruch-jetzt.de, die auch von Wir sind Kirche mitgetragen wird. Die gegen das Memorandum gerichtete Petition pro ecclesia hat nur 14.000 Unterschriften erzielen können – ein Zahlenverhältnis, das sich auch in anderen Untersuchungen wie z.B. dem „Trendmonitor Religiöse Kommunikation 2010“ immer wieder bestätigt.
Memorandum „Kirche 2011. Ein notwendiger Aufbruch.“: > www.memorandum-freiheit.de

Zahlreiche vergleichbare Erklärungen aus früheren Jahren und Jahrzehnten:
Das Memorandum „Kirche 2011“ steht in einer guten Tradition vergleichbarer Erklärungen von ProfessorInnen aus früheren Jahren und Jahrzehnten: In der 1968/69 kurz nach dem Konzil von Hans Küng entworfenen Erklärung „Für die Freiheit der Theologie“, die damals 1360 katholische Theologinnen und Theologen aus aller Welt unterzeichneten, hieß es: „Die durch das Zweite Vatikanische Konzil wiedergewonnene Freiheit der Theologen und der Theologie zum Dienst an der Kirche darf heute nicht erneut gefährdet werden.“ Diese Erklärung hatte damals auch Joseph Ratzinger, als er noch Professor war, unterschrieben. Als Präfekt der Glaubenskongregation legte er dann jedoch 1990 – eine Antwort auf die „Kölner Erklärung“? – mit der „ Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen“ die Theologie an die Kandare der Bischöfe.
Die „Kölner Erklärung: Wider die Entmündigung – für eine offene Katholizität“ aus Anlass der Ausdehnung der päpstlichen Unfehlbarkeit auf umstrittene moralische Fragen ist bis Mai 1989 von über 220 katholischen Theologieprofessorinnen und -professoren unterzeichnet worden.
Links zu vergleichbaren Erklärungen: > www.wir-sind-kirche.de/index.php?id=125&id_entry=3155#V

Grundprinzip Dialog im Zweiten Vatikanischen Konzil:
Dialog war ein Grundprinzip des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) und des Kirchenbildes, dass das Konzil zur Geltung gebracht hat. Das Konzil verlangt einen „offenen“ (Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ GS 43), „aufrichtigen Dialog“, ein „immer fruchtbareres Gespräch zwischen allen“ (GS 92), ob Amtsträger oder Nichtamtsträger, ob Kleriker oder Laien. Als "Kirche auf dem Weg" hat die Kirche nicht auf jede Frage schon eine fertige Antwort (GS 43). Die Suche danach kann nur gelingen, wenn möglichst viele ihren Beitrag leisten und ihr Wissen und ihre Erfahrung einbringen. Dialogische Wahrheitssuche also, Problemlösung nicht durch Weisungen und Dekrete von oben, sondern durch gemeinsame Beratung, durch offene Auseinandersetzung, so der Konzilsbeobachter P. Wolfgang Seibel SJ im November 2008 auf der Bundesversammlung der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche.
50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil: > www.wir-sind-kirche.de/index.php?id=527

Zuletzt geändert am 02­.02.2012