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Veröffentlicht am 27­.06.2008

Wir sind Kirche München

Fragen zum Prozess der geistlichen Neuorientierung im Erzbistum München und Freising – Ermutigung an die Pfarrgemeinden – Appell an den Erzbischof

> Hintergrund

Pressemitteilung München, 27. Juni 2008

Schon an seinem 33. Tag im Bischofsamt hat Erzbischof Dr. Reinhard Marx eine „Neustrukturierung der Seelsorge“ angekündigt (Ordinariatskorrespondenz ok vom 6. März 2008). Am 27. Juni 2008, seinem 147. Amtstag; wird er unter dem Leitwort „Dem Glauben Zukunft geben“ den von ihm angeregten und eingeleiteten Prozess der Presse vorstellen, aus dem heraus Schwerpunkte und Vereinbarungen für die Seelsorge in den kommenden Jahren entwickelt und beschlossen werden sollen.

Vor diesem Hintergrund fragt die KirchenVolksBewegung im Erzbistum München und Freising:
    1. Wie sinnvoll ist es, bestehende Strukturen grundlegend zu ändern, ohne dass der neue Erzbischof die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten des großen altbayrischen Erzbistums (2007: ca. 1,8 Mio. KatholikInnen in 752 Pfarreien) kennen lernen konnte?
    2. Hat es – bevor Anfang März die Maxime ausgegeben wurde, an der Spitze von Pfarreien oder Pfarrgemeinschaften müsse ein Pfarrer stehen - eine Evaluation der seit langem im Erzbistum als Pfarrbeauftragte tätigen Diakone und PastoralreferentInnen gegeben, die als „Bezugsperson“ in der Pfarrei, die „wichtige Funktionen einer Gemeindeleitung“ wahrgenommen haben? „Ohne eine solche verantwortliche Bezugsperson leidet die Gemeinde erheblichen Schaden.“ (Würzburger Synode „Die pastoralen Dienste in der Gemeinde“)?
    3. Wurden Alternativen untersucht oder zumindest in Erwägung gezogen, wie sie seit Jahren z.B. in Frankreich in der Diözese von Poitiers erprobt sind (280 Seelsorgeteams leiten ebenso viele Gemeinden)?
    4. Kann es gelingen „zukunftsfähige Strukturen zu schaffen, auf denen die Pastoral aufbauen könne und die verlässliche Arbeitsbedingungen für die nächsten Jahre garantierten“, wenn das Konzept wesentlich auf die weiter sinkende Zahl der Priester (siehe unten) als „entscheidender Punkt“ ausgerichtet ist?
    5. Inwieweit sind die Priester – alt-erfahrene wie junge – fähig, willens und ausreichend darauf vorbereitet, Großpfarreien und Pfarrgemeinschaften zu managen? Wie soll eine individuelle Seelsorge stattfinden, wie sie im Kirchenrecht Can. 529 § 1 CIC (siehe unten) detailliert beschrieben ist?
    6. Werden Begriffe, Methoden und Zielsetzungen der Unternehmensberatung, wie sie u.a. auch im Bistum Trier angewendet wurden, der „sakramentalen Struktur der Kirche“ gerecht?
    7. Wird es eine Differenzierung zwischen städtischen und ländlichen Räumen, zwischen mehr katholisch und mehr protestantisch geprägten Räumen geben?
    8. Wieweit wurden bzw. werden die Erkenntnisse soziologischer Studien berücksichtigt wie z.B. die Sinus-Milieu-Studie über religiöse und kirchliche Orientierungen, die aufzeigen, dass die katholische Kirche mit ihrer religiösen Botschaft nur noch eine Minderheit der deutschen Bevölkerung erreicht?
    9. Wie konkret sind die Gemeinden und gewählten Räte auf Pfarrei-, Dekanats- und Bistumsebene sowie die einzelnen Berufsgruppen im Erzbistum bisher informiert worden? Werden sie über die Urlaubs- und Sommerzeit hinaus ausreichend Zeit zur Information, Meinungsbildung und Stellungnahmen erhalten (sog. „Resonanzphase“)?
    10. Wird, wenn es um wirksame finanzielle Einsparungen geht, auch eine wechselseitige ökumenische Nutzung von Kirchen und anderen kirchlichen Gebäuden und Einrichtungen in Betracht gezogen?


Wir sind Kirche ermutigt die Gläubigen in den bestehenden Pfarrgemeinden:
  • Beteiligen Sie sich kritisch-konstruktiv am Prozess der geistlichen Neuorientierung im Erzbistum München und Freising! Auch die KirchenVolksBewegung im Erzbistum wird diesen Prozess begleiten und weiter informieren.
  • Verstehen Sie den Mangel an Priestern im Amt als „Zeichen der Zeit“ und Chance für ein neues Bewusstsein der Mitverantwortung aber auch Mitentscheidung aller Getauften und Gefirmten!
  • Fordern Sie das Recht der aktiven Mitbestimmung bzw. Mitgestaltung ein, damit der „sensus fidelium“ (Glaubenssinn des Gottesvolkes) ebenso zum Tragen kommt wie die Verantwortung der Kleriker!
An den Erzbischof Reinhard Marx appelliert Wir sind Kirche:
  • Seien Sie zum ernsthaften und konstruktiven Dialog bereit! Gerade in der jetzigen Umbruchszeit ist eine intensive Mitwirkung des gesamten Kirchenvolkes bei allen strukturellen Entscheidungen theologisch und pastoral dringend geboten! So wie Cyprian von Karthago (gestorben 258 n.Chr.) sollten Sie „nichts ohne euren (seiner Priester) Rat, nichts ohne Zustimmung des Volkes“ entscheiden!
  • Lassen Sie die Gemeinden als „Kirche vor Ort“ nicht in unpersönlichen Strukturen untergehen, sondern sichern Sie ihren Erhalt auch durch die Beauftragung von Laien zur verantwortlichen Leitung und Gestaltung der Gemeinden!
  • Bedenken Sie bitte, dass eine radikale Auflösung der sich in der Praxis gut bewährten kooperativen Gemeindeleitung (Ordensleute und Ruhestandspriester als pastorale Leiter; Laien als Pfarrbeauftragte) als eine Brüskierung Ihres Amtsvorgängers Kardinal Wetter, angesehen werden könnte, der diese Form der Gemeindeleitung gemäß der „Würzburger Synode“ eingeführt hatte!

Kontakt:
Wir sind Kirche im Erzbistum München und Freising
c/o Christian Weisner
Tel. 08131-260250 oder 0172-5184082
presse@wir-sind-kirche.de


Hintergrund:

Canon 529 § 1 aus dem aktuellen kirchlichen Gesetzbuch CIC: (1983)
„Um die Hirtenaufgabe sorgfältig wahrzunehmen, hat der Pfarrer darum bemüht zu sein, die seiner Sorge anvertrauten Gläubigen zu kennen; deshalb soll er die Familien besuchen, an den Sorgen, den Ängsten und vor allem an der Trauer der Gläubigen Anteil nehmen und sie im Herrn stärken, und wenn sie es in irgendwelchen Dingen fehlen lassen, soll er sie in kluger Weise wieder auf den rechten Weg bringen; mit hingebungsvoller Liebe soll er den Kranken, vor allem den Sterbenden zur Seite stehen, indem er sie sorgsam durch die Sakramente stärkt und ihre Seelen Gott anempfiehlt; er soll sich mit besonderer Aufmerksamkeit den Armen, Bedrängten, Einsamen, den aus ihrer Heimat Verbannten und ebenso denen zuwenden, die in besondere Schwierigkeiten geraten sind; auch soll er seine Aufgabe darin sehen, die Ehegatten und Eltern bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten zu stützen und die Vertiefung eines christlichen Lebens in der Familie zu fördern.“

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Zahlenangaben und Kommentar zur Statistik der Priester- und Weihekandidaten 2007, Zentrum für Berufungspastoral (www.berufung.org): Die Zahl der aufgenommenen Priesterkandidaten in Deutschland betrug zwischen 1997 und 2007 durchschnittlich 201 pro Jahr.
„Eine echte Trendwende ist jedoch noch nicht in Sicht, denn auch die Zahl der Neupriester ging im Vergleich zum Jahr 2006 um 10% zurück. Dies ist umso verwunderlicher, da jetzt die Jahrgänge zur Weihe kommen, die mit relativ hohen Eintrittszahlen erfasst wurden.
Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass bei niedrigen Weihezahlen und relativ gleichbleibenden Eintrittszahlen die Gesamtzahl der Priesterkandidaten nicht weiter hätte sinken dürfen. Im Erfassungsjahr haben sich somit wieder mehr der Priesterkandidaten im Laufe ihrer Ausbildung für einen anderen Weg entschieden. ...
Im Jahr 2007 wurden in den deutschen Diözesen 110 Neupriester geweiht. Darüber hinaus haben im gleichen Zeitraum 38 Ordensmänner die Priesterweihe empfangen. Im Vergleich dazu wurden im Vorjahr 121 Diözesanpriester und 34 Ordenspriester geweiht.“


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Katholische Kirche in Deutschland Statistische Daten 2006
(DBK Arbeitshilfen Nr. 221): > PDF
  • Pfarreien mit Pfarrer, der nur eine Pfarrei leitet 2006
    Erzbistum München und Freising 29,7 Prozent
    (Bundesdurchschnitt 24,3 Prozent)
  • Welt- und Ordenspriester 2006 im aktiven Dienst
    Erzbistum München und Freising 4,0 je 10.000 Katholiken
    (Bundesdurchschnitt 4,3)
„Die Zahl der Priester in der Seelsorge ist kleiner geworden und relativ stärker gesunken als die Zahl der Pfarreien und der Katholiken. Diese Entwicklung dürfte sich demnächst etwas verlangsamen, nachdem die stärker besetzten Jahrgänge der in den dreißiger Jahren geborenen Priester, die zuletzt noch einen gewichtigen Anteil der pastoralen Aufgaben getragen und einen Großteil der Pfarrer gestellt haben, aus Altersgründen aus dem aktiven Dienst ausgeschieden sein werden. Die auf absehbare Zeit geringen Nachwuchszahlen genügen längst nicht, um solche Lücken zu schließen. Gegenüber der bisherigen Seelsorgestruktur und im Blick auf die Pfarreienlandschaft hat diese Entwicklung gravierende Veränderungen zur Folge. Auf Zukunft hin sind damit die anderen Mitarbeiter(innen)gruppen stärker mit ins Blickfeld gerückt.
Laut Statistik der katholischen Deutschen Bischofskonferenz ist die Zahl der eingetragenen Kirchenmitglieder in Deutschland zwischen 1990 und 2006 um 9,1 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Welt- und Ordenspriester dagegen aber um 27,8 Prozent. Selbst wenn die Gemeinde- und PastoralreferentInnen hinzugezählt werden, ist ein Rückgang der seelsorgenden Personen um 19,6 Prozent zu verzeichnen, also ein mehr als doppelt so starker Rückgang im Vergleich zu dem der Kirchenmitglieder.

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„Mehr als Strukturen …“ Neuorientierung der Pastoral in den (Erz-)Diözesen. Ein Überblick > PDF
(Angaben zum Erzbistum München und Freising auf den Seiten 82-85)

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Franz Kramer 1983 geschrieben aber nach wie vor aktuell
Streit um die Seelsorge. Zusammenbruch - Aufbruch – Abbruch (mit Aussagen von Hans Küng, Bischof Georg Moser und Joseph Ratzinger zum Thema „Recht der Gemeinde auf Eucharistie“)
> PDF (28 KB)

Zuletzt geändert am 23­.03.2017